
Finde dein eigenes Tempo auf der Autobahn des Lebens
Berlin! 550 Kilometer trennen uns. Wie oft bin ich diese Strecke dieses Jahr gefahren. Und dieses Mal hat sie besonders lange gedauert. Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen und das große Ganze in den kleinen Dingen des Alltags zu suchen. Was dabei rauskam? Das Leben ist eine Autobahnfahrt! :)))
Mal ist die Bahn frei und ich kann Gas geben. Mal taucht ein Hindernis auf und bremst mich aus. Mal ist es so voll, dass man sich dem Fluss der anderen anpassen muss. Muss ich wirklich? Nein, dass ich mich anpassen muss, ist eine Illusion, denn ich habe immer die freie Wahl. Ich kann die Spur wechseln und ich kann mein Tempo fahren, so wie ich es will. Wenn mich jemand bedrängt, kann ich frei entscheiden: Lasse ich mich von jemanden antreiben und fahre schneller als ich eigentlich will – oder wechsle ich die Spur und lasse ihn vorbeiziehen?
Manchmal kommt der Verkehr auch ganz zum Erliegen. Schon wieder Stau. Und schon wieder die freie Wahl: Werde ich wütend und ungeduldig, weil ich mein Ziel nicht so schnell erreiche, wie ich es wollte? Oder nutze ich die geschenkte Zeit? Vielleicht höre ich eine CD, die ich schon lange nicht gehört habe. Oder ich bin nicht alleine, und sehe diesen Stau als Extra-Zeit mit meinem Beifahrer und als Möglichkeit für ein gutes Gespräch. Oder ich mache eine Pause und telefoniere mit einem guten Freund, den ich ohnehin anrufen wollte. Wenn ich mich nicht auf den Stau und meine Ungeduld konzentriere, gibt es so viele Möglichkeiten, das Beste aus der Situation zu machen…
Manchmal kreuzen auch Verrückte auf der Autobahn des Lebens meinen Weg. Sie hupen, blinken, schneiden mich. Und schon wieder ist es meine freie Wahl: Ich kann fürchterlich wütend werden über das Verhalten der anderen. Ich kann ihnen meine Wut zeigen, indem ich genauso werde. Ich könnte so jemanden vorbeilassen und ihn dann selbst von hinten bedrängen. Übrigens nichts, was ich im Eifer des Gefechts nicht auch schon getan hätte :)). Aber will ich das wirklich? Wie geht es mir dabei? Das bin nicht ich und es ist gewiss nicht mehr mein Tempo, wenn ich mich vom ersten impulsiven Gefühl hinreißen lasse: „Dem zeige ich es!“. Wie auf der Autobahn wird im echten zwischenmenschlichen Leben bei solchen Mustern die gerade noch ruhige Autobahnfahrt schnell zu einem gefährlichen Wettrennen. Eine Spirale, die sich immer weiter hochschraubt, bis es einen Unfall gibt – oder einer aussteigt und entscheidet, sein eigenes Tempo wiederzufinden.
Die Lücke finden und aussteigen
Wenn das Leben einen von 180 auf Null ausbremst, wenn sich immer neue Hindernisse auftun, wenn andere das eigene Wohlbefinden gefährden oder wenn man sich wie in einem Hamsterrad fühlt, weil die anderen ein Tempo vorgeben, das nicht das eigene ist: Steige aus und finde dein eigenes Tempo. Suche nach der Lücke – auch, wenn es erstmal nur eine kleine ist.
Nur wie? Also wenn schon eine kleine Autofahrt das Leben widerspiegeln kann, dann gilt das doch auch umgekehrt. Alles ist miteinander verbunden. Was mir bei dieser Autofahrt geholfen hat: Vor dem ersten Stau war ich in meinem Alltagstunnel. Berlin! Das Ziel fest vor Augen, der Fuß auf dem Gas. Mit dem Stau kam der Ärger. Klar, denn das passte nicht in mein Konzept, meine Pläne wurden durchkreuzt. Nach einer Weile Stau und Ärger habe ich mich immer unwohler gefühlt. Innere Unruhe, schwitzige Hände, Herzklopfen und Herrje: Jetzt bedränge ich schon die anderen von hinten. Dann der Gedanke an die Yogapraxis: Atmen! Bewusst Atmen. Mache dir bewusst, warum du wie re-agierst. Und breche aus dem Muster aus. Da war’s wieder ganz schnell klar: Nicht der Stau ist das Problem, sondern meine Reaktion auf den Stau.
Und genauso läuft es oft im (zwischenmenschlichen) Leben. Das Leben hält ständig neue Herausforderungen und auch Hindernisse für uns bereit. Ich kann stur geradeaus fahren und mich über die Hindernisse ärgern oder ich nehme den Umweg als meinen neuen Weg an und finde dort mein eigenes Tempo.
Manchmal kreuzen Menschen unsere Wege, die die „Verkehrsregeln“ einfach missachten oder anders deuten. Da gehen Respekt, Ehrlichkeit und Rücksichtnahme schon mal flöten. Aber wie beim Drängler auf der Autobahn ist es meine freie Entscheidung, ob ich diese Spielchen mitspiele – oder ob ich die Spur wechsle.
Mein eigenes Tempo zu fahren, heißt für mich, mir meiner Selbst bewusst zu sein. Ich habe diese freie Wahl in jedem Moment: mir meine Gefühle, Gedanken und Handlungen bewusst zu machen anstatt mich einfach fremdbestimmt antreiben zu lassen. Yoga eben:)) Und das ist bestimmt eine Aufgabe fürs ganze Leben. Denn die meiste Zeit leben wir, wie ich gerade vor dieser Autofahrt, unbewusst und in unserem eigenen Tunnel. Manchmal braucht es deswegen wohl einen Stau, um den Blick wieder zu weiten.
