
Ein Jahr Acroyoga oder: Wie läuft das jetzt mit dem Vertrauen?
Ein Jahr wie eine Achtbahnfahrt, ein Jahr der Extreme, mit den schönsten Erlebnissen und mit den schlimmsten. Ein Jahr in Bewegung: Das war mein Jahr mit Acroyoga. Mit Abstand war dieses Jahr für mich das Jahr mit den meisten Begegnungen, den meisten Reisen, den meisten Erfahrungen. Die wertvollste ist eigentlich ganz einfach und trotzdem manchmal so schwer zu verstehen: Es geht alles ums Vertrauen.
Wie könnte ich mich kopfüber in eine Haltung schmeißen, mich von den Füßen oder Händen eines anderen Menschen tragen lassen, wenn ich ihm nicht vertraue? Ohne Vertrauen geht es nicht. Aber Vertrauen ist keine Einbahnstraße. Nur dem Partner zu vertrauen, reicht bei weitem nicht aus. Ich bin immer wieder verblüfft, wie die Art, wie wir Acroyoga üben, wie wir miteinander umgehen, was mit uns im Inneren passiert, unser gesamtes Leben widerspiegelt. Und ich kenne diesen Moment nur zu gut: Ich stehe sicher in den Händen eines Partners, plötzlich kommt ein Gedanke: „Was, wenn ich falle?“, oder der Spotter, der gerade noch aufmerksam da war, um im Notfall einzugreifen, dreht sich plötzlich um. Und schon wird mein fester Stand zu einem wackligen Unterfangen.
Was ist da passiert? Es ist das Vertrauen in mich selbst, das gerade noch da war und plötzlich verschwindet, als spiele es ein Spiel. Auch das Vertrauen in einen Partner kommt und geht manchmal. Es ist nie gleich. Was ich in diesem Jahr gelernt habe: Vertrauen ist nicht etwas, das langsam wächst. Es ist eine Entscheidung, die ich in jedem Moment neu treffe. Ich kann Ja zu etwas sagen oder Nein. Und uns allen wird suggeriert, dass Ja die richtige Entscheidung ist. Wenn ich Ja sage, entscheide ich mich für das Vertrauen, ich öffne mich und lasse Dinge geschehen. Das Nein hat (gerade in der oberflächlichen) spirituellen Welt einen negativen Touch: ich verweigere mich, ich blockiere, entscheide mich gegen etwas.

Aber stimmt das?
Das letzte Jahr hat mich etwas anderes gelehrt: Nein ist nicht schlechter als Ja. Beide haben die gleiche Berechtigung. Und Ja zu sagen, bedeutet nicht zwangsläufig Vertrauen zu haben. „Vertraue und du kannst alles schaffen“, das ist einer dieser schönen Sprüche. Ich mag ihn wirklich und irgendwo ist auch was dran. Aber eben nicht in dieser Kürze und Art, wie er oft interpretiert wird. „Vertraue und du kannst alles schaffen“ bedeutet eben nicht: Klemme dir bei Dwi Papa Sirsasana mit Gewalt beide Beine hinter den Kopf, es wird schon gut gehen. Es bedeutet nicht: Lass dir beim Acroyoga von einer Base einen Pop in Foot2Hand high geben, wenn er dich nicht einmal in Foot2Hand Low halten kann. Ich würde heute keinen Handstand am Rande einer Klippe machen. Denn selbst, wenn ich fest darauf vertrauen würde, dass ich es kann, wäre in mir eine Stimme, die mich davon abhalten würde. Ich bin einfach noch nicht so weit, vielleicht werde ich es nächstes Jahr sein, vielleicht auch nie. Andere können das – und das ist wunderbar. Aber das hat nichts mit blindem Ja-Sagen zu tun. Vertrauen ist nicht die Unterscheidung zwischen Ja und Nein. Vertrauen ist das Hören auf die innere Stimme, die Ja oder Nein zu etwas sagen darf. Das ist die Entscheidung, die ich heute nach einem Jahr Acroyoga, versuche immer wieder aufs Neue zu treffen: meine innere Stimme zu hören und auf sie zu vertrauen.
Vertrauen ist seitdem für mich nichts mehr, was langsam wächst. Es ist immer da und ich kann mich immer dafür entscheiden. Trotzdem gibt es etwas, das wächst: Es ist der Prozess, zu dieser Entscheidung zu kommen und vor allem, die innere Stimme von anderen Stimmen zu unterscheiden. Denn manchmal ist es die Angst, die mich davon abhält, Dinge zu tun, die ich eigentlich könnte – im Acroyoga ganz besonders, zum Beispiel, wenn ich auf den Händen eines Partners steht und die Kontrolle abgeben muss. Es sind alte Muster und Glaubenssätze, die uns einreden, dass wir etwas nicht können: „Auf dem Kopf stehen, ist doch unmöglich! Das schaffe ich nie!“ Die innere Stimme sagt aber vielleicht: „Lass dich unterstützen und versuche es!“
Manchmal will die innere Stimme mich aber auch zurückhalten und sagt, dass es genug ist für meinen Körper. Das ist dieses mulmige Gefühl beim zehnten Hand2Hand Versuch, an einem Tag, an dem es einfach nicht sein soll. Dann geht es darum, das unbedingte Wollen und den Ehrgeiz von dem, was wirklich gut für mich ist, zu unterscheiden. Nein zu sagen, bedeutet auch, Ja zu etwas anderem zu sagen. In diesem Fall, mir Ruhe zu gönnen und meine Grenzen in diesem Moment anzunehmen. Yoga und Acroyoga sind wundervolle Instrumente, um diese innere Stimme von den anderen unterscheiden zu lernen.
Das Spannende: Dieser Prozess hört nie auf und er zieht sich durch das ganze Leben, nicht nur, wenn wir gerade Yoga oder Acroyoga üben. In allem geht es um dieses Vertrauen. Manchmal wollen wir so sehr auf eine Sache oder einen Menschen vertrauen, dass wir blind Ja sagen, obwohl die innere Stimme Nein schreit. Das habe ich im letzten Jahr erlebt. Ich habe den Handstand an der Klippe gemacht – und bin umgefallen. Zum Glück nur im übertragenen Sinne. Der Wunsch, dass eine Idee – meine Idee, und ein Projekt gelingt, war so groß, dass ich die innere Stimme beiseite geschoben habe. Aber aus diesem Scheitern heraus ist eine wunderbare Erkenntnis entstanden: Die innere Stimme bleibt – und je mehr ich sie missachte, umso lauter wird sie, denn sie will gehört werden. Und seit ich wieder auf sie höre, passieren fantastische Dinge: Ich habe wundervolle Menschen kennen gelernt, denen ich auf Anhieb vertrauen konnte, ich habe beim Acroyoga Partner kennen gelernt, die mir so gute Unterstützung geben können, dass das Überschreiten meiner eigenen Grenzen möglich wird, es haben sich neue Wege aufgetan, um meine Idee, Yoga und Schreiben zu verbinden, zu verwirklichen, wie dieser Blog. Deswegen: Vertraue deiner inneren Stimme, sie kennt den Weg.
